Der Kurzfilm Zeitsprung (engl. Leap in Time) ist eine Meditation über Zeit und Erinnerung und Vergessen, ausgehend vom Zusammentreffen einer jungen Frau mit einem älteren Herren auf einer Parkbank.

 

Ein Sprichwort des Schriftstellers Jean Paul lautet:

 

       Die Erinnerung ist das einzige Paradies,

      aus dem wir nicht vertrieben werden können.

                 

                       (Jean Paul, Die unsichtbare Loge)

 

 

Dies verheißt jedem von uns einen Rückzugspunkt in schweren Zeiten. Doch was wenn Selbstverleugnung oder Vergessen diese Erinnerung verblassen und dieses Paradies verschwinden lassen:

 

Verhält es sich dann nicht wie bei Wassertümpeln, die mit Leben gefüllt sind, das austrocknet und nicht mit dem restlichen Ozean der Erinnerung verbunden und vereinigt wird, und gestrandete Schiffe tragen, die vom Meer künden, das nicht mehr da ist, wartend darauf in einer geschichtslosen Gegenwart zu ertrinken.

Verlust der Erinnerung, das allmähliche Verschmieren der Zeit, das Zerreißen der Linie der Zeit, die wir Leben nennen, führt zu Sprüngen in unserer eigenen geschichtlichen Kontinuität, unterbindet das Bad in der Vergangenheit und schränkt schließlich Phantasie und freudvolle Kreativität ein, der Möglichkeit beraubt, aus der Gegenwart für die Zukunft zu schöpfen.

Muss man sich Gefangener oder Ausgestoßener dieses Paradieses nennen oder ist, keine Geschichte zu haben, gerade das Paradies. Gibt es einen Ausweg, Rettung in Form eines Deus ex Machina um diesem Paradies oder vielleicht doch blinder Hölle zu entkommen? Für die Protagonisten scheint es diesen nicht zu geben, doch als profilmischer Ansatz wäre nicht gerade Film mit seiner eingeschriebenen Aura des Augenblicks aber zugleich des Vergangenen, des Nichtmehr-Seins, prädestiniert, zum Schöpfungspunkt einer selektiven, bleibenden Zukunft zu werden? Erinnerung, Emanation und Manifestation der Zeit, als Abdruck unserer Geschichte und unseres Selbst. Doch können im Zusammentreffen mit der Geschichtlichkeit eines anderen Menschen die Projektionen der Vergangenheit wirklich dieses volle Bild ergeben und vor allem wie ein Abbild eines Bildes machen, wenn es dieses Bild nicht mehr gibt, Hoffung vom Wind wie Staub bereits verweht?

 

Wenn jemand stirbt, sind seine Erinnerungen weg. Der Verlust der Erinnerung der Menschheit an Menschen, Völker, Kulturen (wird man in drei Generationen überhaupt noch wissen, dass es Tibet oder bestimmte Völker in Nigeria jemals gegeben hat) kann vielleicht auch nur mehr lösbar sein, wenn wir beginnen gegen jeden Widerstand der auslöschenden Systeme, diese Erinnerungen zumindest filmisch festzuhalten versuchen.

 

Vergessen, Verleugnen einer Vergangenheit, Demenz, Alzheimer und der damit verbundene, meist unbemerkte Geschichts- und Zeitverlust sind schließlich Verlust von Variationen unseres Gefühlereservoirs, das uns zu Menschen werden lässt. Für den Herren auf der Parkbank des Kurzfilmes existieren unverankert in einer stetigen Zeitleiste durch die verschwommenen Erinnerungen nur eingeschränkte Versionen der Vergangenheit, ohne Vorsatz nur kurz auftauchend und verschmiert durch die vom Gehirn freigegebenen und noch nicht gelöschten Erinnerungscluster. Nebenbei erwähnt, "funktioniert" Filmschnitt bzw. Montage nicht ähnlich, wenngleich meist vom Regisseur gewollt? Auch Schnitte sind meist Zeitsprünge (abgesehen von den 24 (16,25,48) (projektions)technischen Zeitsprüngen pro Sekunde). Unschärfen und Überblendungen, ob sie nun nach Etienne Souriau diegetisch oder filmographisch oder gar erst filmophanisch entstanden sind, filmischer "Alltag" und sogar Essenz des Filmemachens.

 

Der Themenkreis Zeit, Vergessen und Erinnerung wurde bei unterschiedlicher Annäherung auch vom großen französischen Essayfilmmeister Chris Marker in Filmen wie La Jetee (1962), Sans Soleil (1983), Level 5 (1996) und bei seinem bahnbrechenden Multimediaprojekt Immemory (1998) behandelt. Ihm ist der 7-minütige Kurzfilm Zeitsprung gewidmet.